Energetisches Quartierskonzept Alte Schmelz - St. Ingbert
Ausgangslage
In St. Ingbert stellt die spät-barocke Werkssiedlung Alte Schmelz, ein ehemaliges Eisenwerk, ein bedeutendes Ensemble der Industriekultur im Saarland dar. 1988 wurden Werksgebäude und Siedlung – insgesamt 12 Einzelgebäude, 30 Häuser unter Ensembleschutz – unter Denkmalschutz gestellt. Das Quartier Alte Schmelz besteht insgesamt aus drei Gebieten:
- Allgemeines Wohngebiet
- Gewerbegebiet sowie
- Mischgebiet
Die historisch wichtigen Gebäude wie die Möller-Halle, die Mechanische Werkstatt, das Konsumgebäude, Direktorenvilla u. a. stehen unsaniert leer. Die 15 der denkmalgeschützten Häuser mit ca. 45 Wohneinheiten wurden bereits von der hierfür gegründeten Wohnungsbaugenossenschaft Albrecht-Herold Alte Schmelz e.G. von 1994 bis 2010 denkmalgerecht saniert. Rund 15 weitere Wohngebäude aus den 60er bis 70er Jahren sind Bestandteil des Mischgebiets, die sich in einem schlechten energetischen Zustand befinden. Der größte Teil des Quartiers besteht jedoch aus dem Gewerbegebiet, das zum größten Teil zwischen drei Unternehmen aufgeteilt wird.
Ziele
Das zu erarbeitende Konzept soll aufzeigen, welche Energieeinsparpotenziale durch die Sanierung des Gebäudebestandes sowie bei der Fortentwicklung der Wärmeversorgung im Quartier bestehen. Besonderes Augenmerk soll hierbei zum einen auf die historischen Gebäude zur Einrichtung eines Mint-Campus und zum anderen auf die energetischen Bestands- und Potentialanalyse sowie Ableitung von Handlungsoptionen für das Drahtwerk St. Ingbert gelegt werden. In diesem Zusammenhang sind Maßnahmen zu benennen, die ergriffen werden können, um kurz-, mittel- und langfristig die Energieeffizienz zu steigern und energieverbrauchsbedingte CO2-Emissionen zu reduzieren. Das Konzept soll als Grundlage für die Arbeit eines Sanierungsmanagers dienen, der auch unter Berücksichtigung des Integrierten Städtebaulichen Konzeptes den Umsetzungsprozess planen und mit begleiten wird.
Vorgehen
Zur Bearbeitung des Projekts sind vier Arbeitspakete vorgesehen:
- Arbeitspaket 1: Erstellung einer Gesamtenergiebilanz für den Ausgangszustand
- Arbeitspaket 2: Erstellung einer energetischen Bilanzierung für die zukünftige Nutzung der in den MINT-Campus einzubeziehenden historischen Gebäude unter Berücksichtigung der vorhandenen und geplanten denkmalpflegerischen, sozialen sowie städtebaulichen Konzepte
- Arbeitspaket 3: Fortentwicklung der Wärmeversorgung auf eine energieeffizientere Basis mit Blick auf CO2-Neutralität, insbesondere unter Nutzung der Prozessabwärme sowie erneuerbarer Energien
- Arbeitspaket 4: Erarbeitung von Grundlagen für eine Motivationskampagne zur Umsetzung energetischer Sanierungen
Bearbeitungszeitraum
2015 - 2017
Projektteam IWU
- Behrooz Bagherian, Dr. Thilo Koch, Peter Werner
Kontakt
Behrooz Bagherian
06151 2904-33
b.bagherian(at)iwu(dot)de
Auftraggeber
- Stadt Sankt Ingbert
Partner
- Stadtwerke Saarbrücken Consulting GmbH, Beratende Ingenieure Richter Nachfolger
Weitere Informationen
Ergebnisse
- Energetisches Quartierskonzept Alte Schmelz - St. Ingbert
Eine Untersuchung der Einsparpotenziale durch energetische Sanierung des Gebäudebestandes ergab, dass auf Grund des Denkmalschutzes und mangelnder Wirtschaftlichkeit nur ein begrenztes Sanierungspotenzial im Bereich der Wohngebäude besteht. Hingegen konnten Prozesse der stahlverarbeitenden Industrie identifiziert werden, aus deren Abwärme sich ein Quartierswärmenetz speisen lässt. Hierdurch können bis zu 758 t/a an CO2-Emissionen gegenüber dem unsanierten Zustand eingespart werden. Unter Einsatz von Biomasse in einem ergänzenden Heizwerk wird das Quartier sogar nahezu CO2-neutral – jedenfalls wenn man die Abwärme als Verlustwärme ansieht und ihre Erzeugung deshalb nicht einbezieht.
Um die Einsparpotenziale im Quartier Alte Schmelz bestimmen zu können, wurden die Bestandsgebäude in vier Gruppen eingeteilt: Die Wohngebäude bestehen aus einer denkmalgeschützten Werkssiedlung und einer Straße mit Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern aus den 60er und 70er Jahren. Die Nichtwohngebäude teilen sich in - überwiegend Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete - historische Gebäude sowie sonstige Produktions- und Lagerhallen auf.
- Einsparpotenziale durch energetische Sanierung des Gebäudebestandes
Zuerst wurde für das Bestandsquartier mit den am IWU entwickelten Berechnungswerkzeugen EQ- und TEK-Tool die Energiebilanzen der Wohn- und Nichtwohngebäude berechnet. Die Informationen lieferten Gebäude- und Quartierspläne, die Vor-Ort-Begehungen und die Verbrauchsabrechnungen des örtlichen Energieversorgers. Für Gebäude, bei denen keine Daten verfügbar waren, musste auf statistische Werte zurückgegriffen werden.
Die aus der Bestandsaufnahme entwickelte Energiebilanz des Quartiers ergab unter Berücksichtigung eines Bedarf-Verbrauch-Abgleiches einen Endenergieverbrauch für Wärme von 4.942 MWh/a, was einem CO2-Ausstoß von 1.235 t/a entspricht. Die energetische Sanierung der Gebäudehüllen sowie der Wechsel auf Heizwärmeerzeuger der Brennwerttechnologie für die Wohngebäude ermöglichen eine Reduktion des Endenergieverbrauchs für die Wärmebereitstellung um 570 MWh/a, was rund einem Drittel des Wärmeverbrauchs vor Sanierung entspricht.
Die Analyse der Einsparpotenziale der historischen Nichtwohngebäude erfolgte detailliert mit dem TEK-Tool für jedes Einzelgebäude unter Berücksichtigung der bestehenden Gebäudenutzung. Hierbei wurde vorausgesetzt, dass sowohl Maßnahmen an der Gebäudehülle als auch eine Optimierung der Anlagentechnik umgesetzt werden. Dadurch kann eine Reduktion des Wärmeverbrauchs um 1.639 MWh/a (das entspricht ca. 67 % des ursprünglichen Verbrauchs) erreicht werden. Dem steht aufgrund des verstärkten Einsatzes von mechanischen Lüftungsanlagen ein Anstieg des Endenergiebedarfs für Strom um 26 MWh/a gegenüber.
- Konzept zur Wärmeversorgung im Quartier
Zusätzlich zu der Bewertung der Einsparpotenziale durch die Sanierung der Gebäude wurden verschiedene Möglichkeiten untersucht, um ein integriertes Wärmeversorgungskonzept umzusetzen. Dazu wurden die Abwärmepotenziale aus dem benachbarten Drahtwerk St. Ingbert ermittelt und ein abwärmegespeistes Versorgungsnetz berechnet. Die untersuchten Konzepte unterscheiden sich dabei maßgeblich im Umfang der an das Nahwärmenetz angeschlossenen Gebäude. Während im Basisszenario 1 lediglich die Nichtwohngebäude an das Nahwärmenetz angeschlossen sind, wird im Szenario 2 davon ausgegangen, dass zusätzlich die denkmalgeschützten und im Szenario 3 auch nicht denkmalgeschützten Wohngebäude eingeschlossen werden. Den Szenarien 4 liegt die Annahme zugrunde, dass alle Gebäude (inklusive Produktions- und Lagerhallen) des Quartiers an das Wärmeversorgungsnetz angeschlossen sind (s. Abb. 1). Des Weiteren wurden die Abwärmenutzung mit Deckung des Restbedarfs aus zusätzlichen Dampfkesseln des Drahtwerkes sowie die Abwärmenutzung mit Deckung des Restbedarfes über ein nahegelegenes Biomasseheizwerk untersucht.
Die Untersuchungen zeigen, dass bei Abwärmenutzung und konventioneller Restwärmebereitstellung eine Reduktion der CO2-Emmissionen von 641 t/a auf 80 t/a (Szenario 1, nur historische Nichtwohngebäude) bzw. von 908 t/a auf 150 t/a möglich sind (Szenario 3, Historische Nichtwohn- und alle Wohngebäude). In der Variante mit Biomassenutzung zur Deckung des Restwärmebedarfs im Quartiersnetz können die CO2-Emissionen des Anschlussszenarios 3 sogar auf lediglich 51 t/a gesenkt werden. Dies entspricht einer Reduktion um 94 % der ursprünglichen CO2-Emissionen. Unter Berücksichtigung der Produktions- und Lagerhallen der ansässigen Firmen (Szenario 4) kann der CO2-Ausstoß durch den Wärmeverbrauch im Quartier von 1235 t/a auf 258 t/a gesenkt werden, was einer Reduktion um ca. 80 % im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Sanierung entspricht. Abb. 2 stellt die CO2-Emissionen der Varianten und Szenarien vergleichend gegenüber.
- Wirtschaftlichkeit der Wärmeversorgung
Die Konzepterstellung und die Berechnung der Potenziale zur Energie- und CO2-Einsparung wurden durch Wirtschaftlichkeitsberechnungen flankiert. Mittels Kapitalwertmethode wurde die Wirtschaftlichkeit der Investitionen je Wärmeversorgungsvariante und Szenario für einen Betrachtungszeitraum von 30 Jahren bewertet. Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen zeigen, dass die Konzepte von der dezentralen Wärmeversorgung der Einzelgebäude über die Varianten mit erdgasbefeuertem Nahwärmenetz bis hin zur Abwärmenutzung im Quartiersnetz an Rentabilität verlieren. Die Bewertung der Nahwärmeversorgungsnetze macht deutlich, dass vor allem die hohen Investitionskosten für das Nahwärmenetz im Vergleich zur herkömmlichen dezentralen Wärmeversorgung den Kapitalwert verschmälern. Bei der Variante der Abwärmenutzung kommen zudem noch gesteigerte Wartungskosten des Wärmenetzes hinzu, die dazu führen, dass das Konzept ohne Subventionierungen - trotz der höchsten CO2-Einsparungen - nicht wirtschaftlich ist.
- Kommunikation, Kooperation und Akteursvernetzung
Um eine erfolgreiche Umsetzung des integrierten Entwicklungskonzeptes für das Quartier Alte Schmelz zu ermöglichen, entwickelten das IWU eine Strategie zur Kommunikation, Kooperation und Akteursvernetzung und leiteten die Implementierung erster Maßnahmen ein.
Der erste Teil der Strategie beinhaltet die verwaltungsinterne Vernetzung von beteiligten Behörden in einer Arbeitsgruppe und die Anstellung eines Sanierungsmanagers / einer Sanierungsmanagerin als zentrale Koordinations- und Moderationsstelle für den Prozess der Quartiersentwicklung. Die Erarbeitung einer Übersicht aller Akteure mit direktem oder indirektem Interesse am Sanierungsprozess bildete die Grundlage für die Einrichtung eines „Runden Tisches“, der als Dialog- und Beteiligungsforum den Austausch zwischen öffentlichen und privaten Akteuren sowie der Bürgerschaft ermöglichen soll. Für die allgemeine Öffentlichkeitsarbeit und die Kommunikation von Einzelaspekten der integrierten Quartiersentwicklung wurden exemplarisch Kommunikationskanäle sowie die zu kommunizierenden Inhalte vorgeschlagen. Die Umsetzung der Strategie zu Kommunikation, Kooperation und Akteursvernetzung bleibt über das Projektende hinaus aber eine der Aufgaben der Stadt Stankt Ingbert.
- Fazit
Die integrierte Betrachtung aller möglichen Sanierungs- und Wärmebereitstellungspotenziale im Quartier Alte Schmelz in Sankt Ingbert ermöglichte die Erarbeitung eines Wärmeversorgungskonzeptes, dass überwiegend aus industrieller Abwärme gespeist und dessen Restwärmebedarf aus einem Biomasseheizwerk gedeckt wird. Durch energetische Sanierung der Wohn- und Nichtwohngebäude und Aufbau eines Quartierswärmenetzes können im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Sanierung rund 94 % (das entspricht 857 t/a) der CO2-Emissionen vermieden werden. Wird der industrielle und weitere gewerbliche Wärmebedarf ebenfalls durch das Quartierswärmenetz mit Biomassenutzung gedeckt, so können zusätzliche 120 t/a an CO2 eingespart werden.