Kommunale Klimaanpassung im Vergleich – Die Diffusion von Politikinnovationen
Ausgangslage
Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel gelten als unvermeidlich und bilden neben dem Klimaschutz eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Aufgaben der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Städten und Gemeinden kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu, da geeignete Anpassungsmaßnahmen in der Regel auf der lokalen Ebene identifiziert und umgesetzt werden müssen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage, wie Innovationen in der kommunalen Klimaanpassung und ihre Verbreitung gefördert werden können, eine zunehmend größere Bedeutung.
Ziele
Das Projekt konzentriert sich auf die Frage, wie die Verbreitung (Diffusion) innovativer kommunaler Klimaanpassungspolitik erklärt und damit am besten gefördert werden kann. Obwohl die Diffusion als Form der interkommunalen und durch andere Verwaltungsebenen bedingten Politikgestaltung als besonders erfolgversprechende Form der klimapolitischen Steuerung gilt, ist noch erstaunlich wenig bekannt über ihre Funktionsweise und die zugrundeliegenden kausalen Mechanismen. Dies gilt besonders für den Bereich der Klimaanpassung und für kleinere Städte und Gemeinden.
Vor diesem Hintergrund zielt das beantragte Projektvorhaben erstens darauf ab, den gegenwärtigen Stand der lokalen Klimaanpassungspolitik in den hessischen Kommunen festzustellen. Zweitens werden einschlägige Formen der Interaktion zwischen Kommunen und mit anderen Verwaltungsebenen identifiziert und ihr Beitrag zur Verbreitung von Anpassungspolitik analysiert. Letztlich werden auf Grundlage der erzielten Erkenntnisse Empfehlungen zur gezielten Unterstützung von Diffusionsprozessen in der Klimaanpassungspolitik entwickelt.
Vorgehen
Das Flächenland Hessen eignet sich besonders gut für eine Fallstudie. Mit nur 5 Großstädten bei 417 Klein- und Mittelstädten sowie Gemeinden ohne Stadtrechte spiegelt seine Verwaltungs- und Siedlungsstruktur die kommunale Vielfalt in Deutschland vergleichsweise gut wider. Im Projekt wurde der Stand der Anpassungspolitik in den hessischen Kommunen mit Hilfe einer schriftlichen Umfrage erhoben und auf das Wirken von Diffusionsmechanismen untersucht. Erste Ergebnisse wurden in einem Online-Workshop im September 2021 den Kommunen, Expert*innen und Praktiker*innen vorgestellt. In der zweiten Projektphase (Projektverlängerung) werden mit Hilfe qualitativer Methoden Diffusionsmechanismen genauer untersucht.
Ergebnisse
An der Umfrage haben sich über 50 % der hessischen Kommunen aus allen Größenklassen und Teilen des Bundeslandes beteiligt. Davon geben über 80 % an, dass sie in den letzten zehn Jahren bereits von Folgen des Klimawandels wie zum Beispiel Starkregen oder Hitzewellen betroffen waren. In der Mehrheit der Verwaltungen wird der Klimawandel zudem als Problem wahrgenommen.
In der Mehrheit der Verwaltungen wird der Klimawandel als Problem wahrgenommen und auch in der Bevölkerung existiert aus Sicht der knappen Hälfte der Verwaltungen ein Problembewusstsein. Dies ergab eine schriftliche Befragung im Rahmen des Projekts „Kommunale Klimaanpassung im Vergleich – Die Diffusion von Politikinnovationen“ in der Zeit von November 2020 bis Januar 2021.© IWU/TU Darmstadt
Viele hessische Kommunen ergreifen auch bereits zahlreiche Maßnahmen, um sich an den Klimawandel und seine Auswirkungen wie etwa zunehmende Extremwetterereignisse anzupassen und die Lebensqualität ihrer Bürgerschaft langfristig zu sichern. Unter anderem betreiben sie ökologischen Hochwasserschutz, schaffen Retentionsflächen, investieren in die Wärmedämmung von Gebäuden oder pflanzen klimaangepasste Baumarten.
8% der hessischen Kommunen geben an, dass sie bereits eine Anpassungsstrategie vorliegen haben, während weitere 17% ein anderes Dokument wie etwa einen Klimaaktionsplan mit Anpassung haben. Anpassungsstrategien sind besonders wichtig, um die vielfältigen Handlungsbereiche in der Klimaanpassung zu verknüpfen und zu koordinieren.
Bei den Faktoren, die die kommunale Klimaanpassung behindern, geht es vor allem um fehlende personelle und finanzielle Ressourcen. Insbesondere kleinere Kommunen haben oft Schwierigkeiten, die komplexen Aufgaben der Klimaanpassung mit den bestehenden Ressourcen zu bewältigen. Auch gegensätzliche Interessen, kommunalpolitische Probleme, unklare Zuständigkeiten und Unsicherheiten über Klimawandelfolgen spielen eine Rolle.
Die Projektdaten zeigen, dass bestehende Unterstützungsmöglichkeiten wie Fördermittel und Informationsangebote des Landes Hessen, des Bundes und teilweise auch der EU, gut angenommen werden und mit einer ambitionierteren Anpassungspolitik in Zusammenhang stehen. Ebenso engagieren sich viele Kommunen in Klimanetzwerken wie den hessischen „Klima-Kommunen“ oder beim in Frankfurt a. M. ansässigen „Klima-Bündnis“. Wichtig scheint aber auch der informelle Austausch zwischen Kommunen jenseits von solchen Netzwerken zu sein, den gut ein Drittel der Kommunen pflegen. Dass interkommunale Politikdiffusion stattfindet, zeigt auch die direkte Nachfrage. So geben rund 20 % der befragten Kommunen an, sie hätten sich zumindest bei der Gestaltung einiger Anpassungsmaßnahmen an anderen Kommunen orientiert, weitere 15 % hatten dies zumindest bei wenigen Maßnahmen getan. Als wichtigstes Hemmnis werden diesbezüglich von über 60 % der Kommunen fehlende personelle Kapazitäten genannt.
Die Kommunen könnten aber noch besser unterstützt werden, wie vor allem Daten aus vertiefenden Interviews zeigen. Zum Beispiel wäre für kleinere Kommunen eine Vereinfachung der Antragsverfahren für die finanzielle Förderung wichtig. Eine effektive Anpassung an den Klimawandel erfordere zudem ein produktiveres Zusammenspiel von EU, Bund, Ländern, Landkreisen und Kommunen sowie weiteren Akteuren. Letztendlich brauche es in vielen Kommunen allerdings zusätzliche Ressourcen, daher könne unter Berücksichtigung angespannter kommunaler Haushaltslagen auch über eine mögliche kommunale Pflichtaufgabe Klimaschutz und Klimaanpassung nachgedacht werden.
Bearbeitungszeitraum
Oktober 2019 – Januar 2023
Projektteam
- IWU: Dr. Monika Meyer, Dr. Jonas Schönefeld, Galina Nuss, Günter Lohmann
- TU Darmstadt: Dr. Kai Schulze, Nils Bruch
Kontakt
Dr. Jonas Schönefeld
06151 2904-38
j.schoenefeld(at)iwu(dot)de
Fördermittelgeber
- Fritz Thyssen Stiftung
Weitere Informationen
Veröffentlichungen
Schoenefeld, Jonas J.; Hildén, Mikael; Schulze, Kai; Sorvali, Jaana (2023).
What motivates and hinders municipal adaptation policy? Exploring vertical and horizontal diffusion in Hessen and Finland. Regional Environmental Change, 23(2).Link zum Aufsatz
doi.org/10.1007/s10113-023-02048-9Schulze, Kai; Schoenefeld, Jonas J. (2023).
Measuring climate change adaptation policy output: Toward a two-dimensional approach. Review of Policy Research.Link zum Aufsatz
doi.org/10.1111/ropr.12553Schoenefeld, J.J.; Hildén, M.; Schulze, K. (2022).
Policy innovation for sustainable development.
In: D. Russell & N. Kirsop-Taylor (Eds.). Handbook on the Governance of Sustainable Development, 160-174. Edward Elgar.Link zum Buch
ISBN: 978 1 78990 431 4-
Schulze, Kai; Bruch, Nils; Meyer, Monika; Schoenefeld, Jonas (2022).
Ergebnisbericht. Die Verbreitung kommunaler Klimaanpassungspolitik in Hessen: Bestandsaufnahme und Perspektiven.
— Herausgegeben von: Technische Universität Darmstadt; Institut Wohnen und Umwelt. Darmstadt. 11 S.➨ Ergebnisbericht
ISBN 978-3-941140-74-5 -
Schoenefeld, Jonas; Schulze, Kai; Bruch, Nils (2022).
The diffusion of climate change adaptation policy.
— Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change, e775 (2022): 18 S.➨ AufsatzDOI 10.1002/wcc.775
-
Schulze, Kai; Schoenefeld, Jonas (2022)
Parteiendifferenz in der lokalen Klimapolitik? Eine empirische Analyse der hessischen Klima-Kommunen.
— Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft (ZfVP) (2022): 26 S.➨ AufsatzDOI 10.1007/s12286-021-00510-8
ISSN 1865-2654 (Online) — ISSN 1865-2646 (Print) - 16.07.2021: Interview im Magazin „Stern“ mit IWU-Umweltwissenschaftler Dr. Jonas Schönefeld (online):
- 22.09.2021: „Wetter am Wendepunkt: Unsere Zukunft mit Hitze und Hochwasser“
(O-Ton Dr. Kai Schulze ab Min. 15:05) - 25.10.2021: „Klima extrem - Wie passt sich Hessen an?“
(O-Ton Dr. Kai Schulze ab Min. 14:40) - 04.02.2023: Frankfurter Rundschau (print): „Umdenken nach Wetterextremen: TU Darmstadt und IWU legen Studie zu Klimaschutz in Hessens Kommunen vor“
- 03.02.2023: Frankfurter Rundschau (online, Rhein-Main/Darmstadt): „Studie aus Darmstadt: Wetterextreme motivieren Kommunen zu mehr Klimaschutz“
- 21.01.2023: Darmstädter Echo: „Klimawandel. Was tun Kommunen?“
- 22.09.2021: Darmstädter Echo: „Gemeinsam in eine gute Zukunft im Kreis Groß-Gerau“
- 14.10.2021: Rüsselsheimer Echo: „Extremwetter werden zunehmen“
- 14.10.2021: Rhein Main Verlag: „‘Klima im Focus‘ im Kreis Groß-Gerau“
Medienresonanz
Beiträge in Zeitschriften
Hörfunkbeiträge im Hessischen Rundfunk (hr-iNFO)
Beiträge in Tageszeitungen